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AboInterview zur Polarisierung der USA
«Abtreibung ist wie eine Flagge, die zeigt, welchem Team man angehört»
Die eine Seite spricht vom Töten von Babys, die andere von der Freiheit der Frauen, über ihr eigenes Leben zu entscheiden: Der Soziologe Ziad Munson über die unversöhnliche Abtreibungsdebatte in den USA.
Joshua Beer
Aktualisiert am 25. Juni 2022 um 15:00 Uhr
Es ist geschehen. Der Supreme Court, das höchste Gericht der USA, hat Roe v Wade gekippt. Damit fällt ein fast fünfzig Jahre alter Präzedenzfall, der Abtreibungen in den USA grundsätzlich erlaubt. Das Entsetzen im blauen Teil der USA – dem liberal-demokratischen – ist gross. Die roten, republikanischen Staaten hingegen haben zum Teil «trigger laws» vorbereitet – scharfe Abtreibungsgesetze, die nun automatisch mit der Aufhebung von Roe v. Wade in Kraft treten. Kaum ein anderes Thema polarisiert die US-amerikanische Gesellschaft in dieser Schärfe. Doch das war nicht immer so.
Ziad Munson forscht als Soziologieprofessor an der Lehigh University im Osten Pennsylvanias seit vielen Jahren zu sozialen Bewegungen in den USA, insbesondere zur Anti-Abtreibungsbewegung.
Herr Munson, hat Sie das Urteil des Supreme Courts beziehungsweise der geleakte Entwurf überrascht?
Nicht wirklich. Die Pro-Life-Bewegung, also die Abtreibungsgegner, arbeiten seit mehr als einer Generation energisch und zielgerichtet auf eine solche Entscheidung hin. Sie ist eines ihrer Kronjuwelen bei den Versuchen, Abtreibung zu verbieten. Allerdings glaube ich, dass die Entscheidung ungewollte Konsequenzen haben wird, speziell für die Republikanische Partei.
Was meinen Sie?
Die Pro-Life-Bewegung war seit dem Urteil von Roe v. Wade sehr effektiv darin, reproduktive Rechte – darunter das Recht auf Abtreibung – einzuschränken. Doch die grosse Mehrheit dieser Einschränkungen trifft unverhältnismässig arme Frauen sowie Frauen aus Minderheiten. Das heisst: nicht wirklich die republikanischen Stammwählerinnen. Ein vollständiges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen aber – ob landesweit oder in einzelnen Staaten – trifft auch Vorstadtfrauen der gehobenen Mittelschicht, weil vor allem im Süden und Mittleren Westen riesige Gebiete ohne vernünftigen Zugang zu Abtreibungsdiensten entstehen. Und das ist eine Wählerinnenschicht, auf die die Republikanische Partei angewiesen ist.
Aber wieso dringt das bei den Betroffenen nicht durch?
In den USA kursieren viele Stereotype über Abtreibungen, die nicht gut zur Realität passen. Etwa der der Teenagerschwangerschaft. Tatsächlich ist ein grosser Anteil der Frauen, die abtreiben, verheiratet oder hat bereits Kinder gehabt. Darum glaube ich, dass es für die Republikanische Partei viel schwieriger sein wird, ihre extreme Pro-Life-Haltung in Zukunft beizubehalten. Wenn sie zu weit geht, riskiert sie Kernwählerschaften.
Woher stammt Ihr Interesse ausgerechnet an den Gegnern von Abtreibung?
Konservative Bewegungen fand ich interessant, weil es dazu so viel weniger Forschung als zu linken gab. Es gab gute Forschung zur Pro-Choice-Bewegung, den Befürwortern eines Rechts auf Abtreibung, aber relativ wenig zur Pro-Life-Bewegung. Was mich an Abtreibung speziell interessiert: Als das Thema das erste Mal in den USA aufkam, war gar nicht klar, dass Pro Life die konservative und Pro Choice die liberale Position wird.
Aus europäischer Sicht wirkt die Abtreibungsdebatte in den USA allerdings unheimlich politisiert und polarisiert.
Absolut. Doch es gibt eine Vorgeschichte: Abtreibung wurde in den USA politisiert, als sich Mitte der 1980er eine Gruppe von politischen Strategen überlegte, wie sie die Republikanische Partei wettbewerbsfähiger machen kann. Zwar war zu der Zeit Ronald Reagan Präsident, ein Republikaner, doch seine Partei hatte seit langer Zeit keine Mehrheit im Kongress.
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Moment, ein Jahrzehnt nach Roe v. Wade? Hat die Polarisierung nicht mit dem Urteil von 1973 angefangen?
Das ist ein verbreiteter Irrtum. Als das Urteil fiel, begrüssten es mehr Republikaner als Demokraten. Zwar fanden politische Debatten darum statt, aber die hatten nichts mit den beiden Parteien zu tun. Es gab Pro-Life-Demokraten und Pro-Choice-Republikaner. Das hat sich dramatisch umgekehrt, und Teil dieser Umkehrung hängt mit besagter Gruppe von politischen Strategen zusammen, die hinter den Kulissen wirkte.
Wie muss man sich diese ominöse Gruppe vorstellen?
Als junge, aufstrebende Funktionäre, vornehmlich katholisch. Darunter war beispielsweise der Konservative Richard Viguerie, der erstmalig automatisierte Mailinglisten als Wahlkampfstrategie anwandte. Sie erkannten im Thema der Abtreibung Potenzial, den Demokraten zu schaden. Deren Wählerkoalition stützte sich nämlich bisher traditionell auf Katholiken, und die bildeten bis in die frühen 1980er-Jahre den Hauptteil der Pro-Life-Bewegung. Also heckte diese Gruppe einen Plan aus und sagte sich: Wir müssen Abtreibung zu einem zentralen Element republikanischer Politik machen, um die Katholiken zu uns herüberzuholen. Gleichzeitig versuchten sie, das Thema etwa über den Fernsehprediger Jerry Falwell auf Protestanten und Evangelikale auszuweiten. Das ist der historische Startpunkt des Polarisierens von Abtreibungen: eine ganz bewusste Entscheidung von Leuten, die Politik verändern wollten.
Offenbar mit Erfolg.
Sie schafften es, die Abtreibungsfrage zu einer Art Lackmustest zu machen: Du darfst dich nicht Republikaner nennen, wenn du nicht gegen die Legalisierung von Abtreibungen bist. Die Demokraten zogen nach, auch wenn sie bei der Frage länger eine politische Vielfalt pflegten. Schliesslich aber wurde die Pro-Choice-Haltung zentral für ihre Politik.
In den späten 1970ern listete die Lobbygruppe «Demokraten für Leben in Amerika» noch mehr als 100 demokratische Abtreibungsgegner im Repräsentantenhaus. Heute zählen sie nur noch einen Abgeordneten. Das scheint Ihre Analyse zu bestätigen.
Für mich spiegelt das wider, wie wenig Raum in den Parteien für Meinungsvielfalt übrig ist, wenn es um Abtreibungen geht. Dabei kümmert die meisten Wähler dieses Thema an sich nicht viel. Was sie aber kümmert: Abtreibung ist wie eine Flagge, die zeigt, welchem Team man angehört. Es ist zum Sinnbild, zum Symbol dafür geworden, wer man ist, was die eigene Moral, die eigenen Werte sind. Dieses Symbol kann man nur schwer ignorieren, wenn man in die Bundespolitik einsteigen möchte. Heute gibt es ein wenig mehr Pro-Choice-Republikaner als Pro-Life-Demokraten, aber bei Abstimmungen entscheiden sie meistens nach Parteiloyalität.
Nutzt die Polarisierung nicht am Ende sogar den Parteien?
Identitätspolitiker beider Parteien profitieren von der Polarisierung, das ist richtig. Doch es gibt auch Warnsignale für beide. Das Risiko für die Republikanische Partei habe ich schon erwähnt. Die Demokraten wiederum müssen um ihre wachsende hispanoamerikanische Wählerschaft fürchten: Diese ist sehr viel häufiger katholisch und tendiert daher zu Pro Life. Donald Trump konnte bereits 2020 seinen Stimmenanteil in dieser Gruppe erhöhen.
Hat sich die Wahrnehmung darüber, was Abtreibung ist, denn gar nicht geändert seit der Politisierung?
Das beantwortet zwar nicht ganz Ihre Frage, aber das Spannende an der Abtreibungsfrage ist gerade, wie stabil die öffentliche Meinung dazu ist. Ob Pro Choice oder Pro Life, die Zahlen haben sich seit 50 Jahren nicht wesentlich verändert. Das trifft auf so gut wie kein anderes Thema zu und zeigt, wie stark beide Seiten mobilisieren. Sie betreiben enormen Aufwand – politisch, sozial, moralisch –, um das Thema im Vordergrund und in den Köpfen der Menschen zu halten.
Die eine Seite spricht vom Töten von Babys, die anderen von einem simplen, medizinischen Eingriff. Meinen die beiden Lager überhaupt dasselbe, wenn sie von Abtreibungen sprechen?
Ich würde sagen, die Pro-Life-Bewegung hat vielen Republikanern erfolgreich ihr Verständnis eingetrichtert, dass Abtreibungen gleichbedeutend seien mit dem Töten von Babys. Die Pro-Choice-Bewegung hingegen denkt bei Abtreibungen nicht so sehr an ein medizinisches Verfahren, sondern vielmehr an die Freiheit für Frauen, über ihr eigenes Leben zu entscheiden.
Lässt sich die Debatte denn noch irgendwie entschärfen?
Man muss Stereotype darüber abbauen, welche Frauen Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und warum. Das geht umso besser, je mehr und offener in Familien oder unter Freunden über Abtreibungen gesprochen wird. Eine zweite Sache: Pharmazeutische Schwangerschaftsabbrüche nehmen zu. Wenn sich Frauen zu Hause ein paar Pillen einwerfen, die per Post kommen, macht es das schwieriger für die Pro-Life-Bewegung, ihr blutiges und babyzentriertes Bild von Abtreibungen zu pflegen. Und was für fast alle Debatten gilt: Wir brauchen weniger Parteipolarisierung, denn die lähmt die Politik. Mit der Abtreibungsfrage hat diese Entwicklung angefangen, sie war im Grunde die Spitze des Speeres. Inzwischen sind die Parteien bei allem polarisiert, wir sehen das Gleiche gerade im Waffenrecht. Sie müssen weiter konkurrieren, aber besser sachlich, nicht mehr so ideologisiert. Das würde der Debatte helfen.